Wissenschaftliche Berichte

Großer odontogener Tumor im Kongo

Gottfried Lemperle
Christoph Sachs
Katja Kassem-Trautmann
Carsten Schröder
Jörg Kalla

Das 4. Interplast Hospital in Goma, Kongo

Gottfried Lemperle

Projekt eines 4. Interplast-Hospitals in Goma, Kongo

Gottfried Lemperle

Extreme Tumoren der Haut und Verbrennungs-Kontrakturen im Kongo

Katja Kassem-Trautmann, Plastische Chirurgie Zug, Schweiz

Gleichzeitige Rekonstruktion der gesamten Ober- und Unterlippe während eines humanitären chirurgischen Einsatzes in Afrika

Arthur Charpentier1, Gottfried Lemperle2

Report 6

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Report 7

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Bericht 8

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Gleichzeitige Rekonstruktion der gesamten Ober- und Unterlippe während eines humanitären chirurgischen Einsatzes in Afrika

Arthur Charpentier1, Gottfried Lemperle2


Eingegangen: 21. März 2016 / Angenommen: 31. Juli 2016 / Online veröffentlicht: 13. September 2016
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

Es gibt viele Möglichkeiten, eine fehlende Ober- oder Unterlippe zu rekonstruieren. In den meisten Lehrbüchern und Artikeln werden vertikale Nasolabiallappen, horizontale Frontallappen oder Platysmalappen vom Hals (hauptsächlich für die innere Auskleidung) beschrieben [1, 2]. Entfernte Lappen vom Oberarm ( Tagliacozzi), muskulokutaner Latissimus-Lappen (wird bei der Noma-Reparatur verwendet) oder freie mikrochirurgische Lappen vom Unterarm (chinesischer Lappen) können als großer frontaler Lappen dienen, um weitere Gesichtsverstümmelungen zu verhindern. Diese einfachste und kosmetisch wirksamste Rekonstruktion einer Oberlippe wurde jedoch bisher noch nicht beschrieben.

Zwei junge Männer wurden einem Team von Interplast-Germany vorgestellt, das in Goma tätig war. Sie waren von marodierenden Soldaten in den Regenwäldern nördlich von Goma gefoltert worden. Sie waren von marodierenden Soldaten in den Regenwäldern nördlich von Goma in der Demokratischen Republik Kongo gefoltert worden. Als die Männer leugneten, Gold zu besitzen, amputierten die Soldaten nacheinander ihre Unterschenkel, die Finger 2 und 3 und beide Ohren. Bei der Durchsuchung ihrer Hütte fanden die Soldaten dann einige Goldnuggets. Zur Strafe schnitten sie beiden Männern die Ober- und Unterlippe ab.

Als sie uns präsentiert wurden, schienen die Wunden um die fehlenden Lippen und Ohren sauber zu sein; die Fingerstümpfe waren chirurgisch verschlossen worden. Verständlicherweise waren beide Männer, 23 und 30 Jahre alt, schwer traumatisiert und konnten nur unter Schwierigkeiten untersucht werden.

Die Lippen beider Patienten waren vollständig und fast professionell zwischen Wangen, Nase und Kinn amputiert (Abb. 1 und 2). Zunächst wurde ein großer horizontaler Frontallappen diskutiert, aber verworfen, da ein dunkelschwarzes Hauttransplantat die Gesichter noch mehr entstellt hätte. Ein freier Unterarmlappen kam wegen fehlender Lupen nicht in Frage. Daher entschieden wir uns für die Verwendung lokaler Lappen, obwohl die verbleibende Haut der Wangen sehr straff erschien.

Unter Vollnarkose wurden die Wangen mit der verbleibenden Schleimhaut auf Knochenniveau entlang der Oberkieferbögen bis zu beiden Kiefergelenken unterminiert. Zwischen Nase und Unterlid wurden quadratische Lappen geschnitten und in der Mittellinie unterhalb des Nasenstegs zusammengezogen. Die Haut mit einigen Gesichtsmuskeln und der inneren Auskleidung konnte zur Mittellinie hin gezogen werden, um die oberen Zähne zu bedecken.

Für die Rekonstruktion der Unterlippen wurde ein umgekehrter 4 cm langer Visierlappen unter dem Kinn, einschließlich des Musculus patysma, entworfen und über das Kinn gezogen. Der Spenderdefekt wurde nach Unterminierung der Halshaut verschlossen. Für die innere Auskleidung konnten zwei vertikale Schleimhaut-Kontrolllappen (2 x 4 cm) mit ihrer Basis in der unteren Zahnfleischfalte angehoben und zur Mittellinie gezogen werden.

Alle Lappenheilungen verliefen gut, aber die ständige Spannung auf den Wunden öffnete beim jüngeren Mann wieder den Blick auf die Frontzähne. Überraschenderweise war die Oberlippe beider Männer nach drei Monaten voll sensibel und die Unterlippe schmerzempfindlich beim Zusammendrücken. In allen Lippen konnten leichte Muskelbewegungen festgestellt werden.

Gottfried Lemperle
Lemperle8@aol.com

Arthur Charpentier
charpentierarthur@gmail.com

  1. Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Bonn-Venusberg,
    Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn, Germany
  2. Wolfsgangstr. 64, 60322 Frankfurt am Main, Deutschland
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Abb. 1: Der 30-jährige Patient vor der Lippenrekonstruktion und der Hauttransplantation um die fehlenden Ohren

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Abb. 2 Ein Jahr nach der bilateralen Wangenvorverlagerung zur Oberlippenrekonstruktion, einem umgekehrten Visierlappen vom Hals und zwei vertikalen Schleimhautlappen für die Innenauskleidung sowie vier Tage nach der Erweiterung der chirurgischen Mundöffnung.

Das gleiche Interplast-Germany-Team operierte die beiden Patienten ein zweites Mal: Bei dem älteren der beiden Männer musste der Mund weiter geöffnet werden, was unter örtlicher Betäubung problemlos möglich war (Abb. 3). Beim jüngeren Mann musste unter Vollnarkose eine zweite Unterminierung beider Wangen vorgenommen werden, um genügend Haut in die Mittellinie zu bringen (Abb. 4). Beide Mundwinkel entzündeten sich und öffneten sich erneut, konnten aber am fünften Tag geschlossen werden und heilten mit Hilfe von lokalem Cefazolin-Pulver und systemischen Cefazolin-Infusionen gut ab.

In der Literatur finden sich nur wenige Empfehlungen für eine vollständige Lippenrekonstruktion nach einer radikalen Entfernung beider Lippen. In den meisten Fällen hatte ein Patient eine Ober- oder Unterlippe durch Krebs, ein Trauma oder einen Hundebiss verloren, die mit zwei oder drei lokalen Lappen aus dem lockeren umgebenden Weichgewebe rekonstruiert werden konnte [1, 2].

Aufgrund der Erfahrung und Verfügbarkeit von Mikrochirurgie wird einem freien Lappen der Vorzug gegeben [3, 4]. Ein freier zusammengesetzter Unterarmlappen mit Einschluss einer vaskularisierten Palmaris-longus-Sehne hat sich als wirksame Methode zur vollständigen Rekonstruktion der Unterlippe erwiesen. Beide Enden der vaskularisierten Sehne wurden durch den bilateralen Modiolus gelegt und mit ausreichender Spannung am intakten Orbicularis-Muskel der Oberlippe verankert [5].

Sollte eine rekonstruierte Unterlippe mit der Zeit absinken, könnte ein langer Faszienstreifen der Fascia lata eingesetzt und mit beiden Enden an jedem durchtrennten Unterkieferfortsatz befestigt werden, wie es bei Patienten mit Möbius-Syndrom nach dem Mc Laughlin-Verfahren [6] durchgeführt wird.

In einem ähnlichen Fall wie unserem wurde ein Patient mit großen Defekten nach der Entfernung von Krebs aus beiden Lippen mit vielen lokalen Lappen bedeckt [7]: Das ästhetische Ergebnis war jedoch weniger überzeugend als unseres (Abb. 3 und 4). In einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung ging es um einen Patienten ohne Oberlippe nach vollständiger Resektion eines Plattenepithelkarzinoms; es wurden bilaterale Nasolabiallappen, ein submentaler Lappen und Schleimhauttransplantate verwendet [8].

In einem anderen Fall, bei dem ein Patient beschrieben wurde, der beide Lippen aufgrund von Noma vollständig verloren hatte (wir vermuten ein Trauma), wurde ein großer gespaltener Visierlappen von der Stirn nach unten gedreht und gespalten, um beide Lippen mit Schnurrbart und Bart zu rekonstruieren, was zu einem ästhetisch sehr ansprechenden Ergebnis führte [9]. Eine funktionelle und kosmetisch bessere Alternative für unseren jüngeren Patienten wäre möglicherweise eine partielle Gesichtstransplantation gewesen, da er einen fast identischen Defekt aufwies wie eine Patientin in Amiens (2005), die durch einen Hundebiss Nase und Lippen verloren hatte [10].

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Abb. 3: Der 23-jährige Patient mit den gleichen Verstümmelungen, jedoch einer umfangreicheren Resektion beider Lippen

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Ein Jahr nach den gleichen Eingriffen und vier Tage nach einer zweiten Vorverlagerung beider Wangen. Eine weitere Öffnung des Mundes wird in drei Wochen erfolgen.

Afrikanische Staaten mit einer langen Geschichte von Revolutionen haben ein Problem mit der Wiedereingliederung von Soldaten, die ihre Armee verlassen haben, um sich den Rebellen anzuschließen. Rebellen, die sich ergeben oder mit der Regierung Frieden schließen – wie im Kongo im Jahr 2003 – wurde nicht erlaubt, sich wieder der Armee anzuschließen. Diese ehemaligen Soldaten haben keine anderen Fähigkeiten als zu schießen, zu foltern und zu töten. Dies ist der Grund, warum die Folter, der unsere beiden Patienten ausgesetzt sind, noch einige Zeit andauern wird.

Danksagungen Wir danken Frau Lydia Kerr aus Naples, Florida, für die Überarbeitung des Manuskripts. Wir danken auch Dr. Thomas Biesgen aus Tier und Dr. Michaela Hladik aus Salzburg von Interplast-Germany für die Unterstützung bei den ersten Operationen.

Einhaltung ethischer Standards

Ethische Standards Für diese Art von Studie ist keine formelle Zustimmung eines lokalen Ethikausschusses erforderlich.

Interessenkonflikt Arthur Charpentier und Gottfried Lemperle erklären, dass sie sich in keinem Interessenkonflikt befinden

Einwilligung des Patienten Die analphabetischen Patienten erteilten G.L. mündlich ihre Zustimmung zur Teilnahme an dieser Studie und zur Verwendung ihrer Bilder.

Finanzierung Keine

Quellenangaben

  1. Baumann D, Robb G (2008) Lip reconstruction. Semin Plast Surg 22:269-280
  2. Pepper JP, Baker SR (2013) Local flaps: cheek and lip reconstruction. JAMA Facial Plast Surg 15:374-82
  3. Fernandes R, Clemow J (2012) Outcomes of total or near-total lip reconstruction with microvascular tissue transfer. J Oral Maxillofac Surg 70:2899-906
  4. Bai S, Li RW, Xu UF, Duan WY, Liu FY, Suan CF (2015) Total and near-total lower lip reconstruction: 20 years experience. J Craniomaxillofac Surg 43:367-72
  5. Jeng SF, Juo YR, Wei FC, Su CY, Chien CY (2004) Total lower lip reconstruction with a composite radial forearm-palmaris longus tendon flap: a clinical series. Plast Reconstr Surg 113:19-23
  6. Exner K, Kuhn T (2010) Gillies' und McLaughlin's dynamischer Muskeltransfer bei irreversibler Fazialisparese. Handchir Mikrochir Plast Chir 42:102-108
  7. Burusapat C, Pitiseree A (2012) Advanced squamous cell carcinoma involving both upper and lower lips and oral commissure with simultaneous reconstruction by local flap: a case report. J Med Case Rep 6:23
  8. Oseni OG, Fadara AE, Majaro MO, Olaitan PB (2015) Total reconstruction of the upper lip using bilateral nasolabial flaps, submental flap, and mucosa graft following complete respection for squamous cell carcinoma. Case Rep Surg 2015:782151
  9. Nthumba P, Carter L (2009) Visor flap for total upper and lower lip reconstruction: a case report. J Med Case Reports 3:7312-16
  10. Devauchelle B, Badet L, Lengelè B et al (2006) First human face allograft: early report. Lancet 368(9531):203-209